Untertage Marathon in Sondershausen

42,195 Kilometer unter der Erde


 

„Du bist ja wahnsinnig!" waren die Reaktionen im Freundeskreis, als ich von meiner Idee, einen Marathon unter der Erde zu laufen, berichtete. Ich jedoch bin überzeugt davon, dass nur der wahnsinnig ist, der sich auf diesen Lauf nicht vorbereitet!

 
Vor 8 Monaten habe ich mir einen der 400 raren Startplätze gesichert. Ich bin gut vorbereitet, bin Trainingseinheiten bei Nacht mit Helm und Stirnlampe gelaufen, habe mich in der Sauna an die Temperaturen gewöhnt und alles was irgendwie scheuern kann abgeklebt oder dick eingeschmiert.

 
Es ist kalt, -2 Grad Außentemperatur. In vollgepferchten Gitterkörben geht es 700 Meter senkrecht nach unten in den Schacht - zum Glück leide ich nicht an Klaustrophobie. Unten angekommen empfangen mich 25 Grad und eine große Höhle mit Start/Ziel und Umkleidemöglichkeiten.

 
Helm auf - Stirnlampe an - Startschuss! Nun geht es hinein in die dunklen Gänge. Zu Beginn ist das Feld noch zusammen, löst sich bald auf und ich laufe alleine. Bedingungen wie in der Wüste. Es ist warm, es ist trocken, nur 10% Luftfeuchtigkeit, die Luft ist salzig, es gibt fast keine km-Schilder, die Orientierung ist schwierig. Ich kann nicht weit sehen, manchmal nur 5m, manchmal 200m. Und es gibt drei Steigungen mit bis zu 20% mit 310 Höhenmetern pro Runde. Ich muss mich erst daran gewöhnen, den Untergrund kaum zu sehen, alles ist grau in grau, staubig, einige scharfe Kurven sind rutschig. Erst nach der zweiten der vier 10,5 km-Runden habe ich mich an die Bedingungen langsam gewöhnt. Viele Läufer haben die Hitze unterschätzt oder das Höhenprofil nicht richtig einkalkuliert und werden vom Arzt oder wegen Zeitablauf aus dem Rennen genommen und für den Halbmarathon gewertet (>2:45h).

 

Ich laufe völlig alleine mein Tempo, menschenleere Tunnels, undefinierbare Gerüche, keine Geräusche, kein Wind ... Ich beginne die verschiedenen Streckenabschnitte zu benennen. Die „Hölle" ist der Streckenteil, an dem ich sehr zu kämpfen habe: der tiefste und heißeste Punkt, unglaubliche 30 Grad und vom Salz alles schneeweiß. Einzige Abwechslung bieten die Trinkstellen alle 2,5km.

 
Lautes Jubeln und kräftiges Klatschen der Zuschauer beim Zieleinlauf. Nach 4 Stunden habe ich alles überstanden - völlig ausgetrocknet, Muskelschmerzen vom ständigen Auf und Ab (1.240 Höhenmeter). Das Gefühl es geschafft zu haben ist überwältigend! Der 40. Gesamtrang und 5. Platz in meiner Altersgruppe sind der Lohn für die Mühen - dazu eine schöne Medaille, ein T-Shirt und eine sehr lebendige Erinnerung an diese harte Strecke.
 
Ich kann den Marathon nur erfahrenen Läufern mit guter Selbsteinschätzung empfehlen. Für mich war es ein einmaliges Abenteuer.

 

Mike Kerschat